Christine Gedeon war drei Jahre alt als sie Syrien verließ: 1976 beschloss ihre frisch geschiedene Mutter, die Kinder mit in die USA zu nehmen. »Als wir nach Amerika zogen war meine Mutter alleinerziehend mit drei Kindern. Ich war drei, meine Schwester war 13 und mein Bruder war 16. In Aleppo gab es keine wirklichen Möglichkeiten für Alleinerziehende. In den USA hatten wir Familie und bekamen finanzielle Unterstützung,« erinnert sich Gedeon. »Es war damals noch sehr viel einfacher. Wir erhielten unsere Green Card am New Yorker JFK-Flughafen und hatten nur fünf Jahre später die amerikanische Staatsbürgerschaft.«

Syrien blieb Teil ihrer Vergangenheit, geriet jedoch ins Hintertreffen. »Ich fühlte mich nicht wirklich amerikanisch. Ich fühlte mich nicht syrisch.« Auch für die Sprache ihrer Heimat interessierte sich Gedeon als Kind nicht. Erst mit zunehmendem Alter wurde sie neugierig auf ihren Geburtsort und kehrte 2006 als Besucherin zurück. Als sie durch die Straßen wanderte, fühlte sich Gedeon von der Schönheit und Zeitlosigkeit Syriens angezogen. Damals verbrachte sie viel Zeit in Damaskus. Nach Aleppo wollte sie ein anderes Mal zurückkehren. Fünf Jahre später jedoch gab es Krieg und jegliche Reisepläne wurden auf unbestimmte Zeit verschoben. »Als der Krieg begann, bereute ich es, das Land nicht gut genug gekannt zu haben«, erinnert sich die heutige Wahlberlinerin mit Wohnsitz in New York und verglich diese Erfahrung mit dem Tod.

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In den Folgejahren unternahm Gedeon deshalb eine künstlerische Reise: In einem zutiefst persönlichen und schmerzhaften Prozess enthüllte sie nicht nur ein verlorenes Syrien, sondern gleichzeitig eine Familiengeschichte, die von Verlust, Migration und brutaler Politik geprägt war. »In meiner Vorstellung ist Aleppo ein Ort der Zerstörung und des Wiederaufbaus. Ich habe ein sehr persönliches, konzeptuelles Kartierungsprojekt gefunden, um sowohl die geografischen Veränderungen der Stadt als auch die persönlichen Erzählungen und Erinnerungen meiner Familie zu enthüllen und im Rahmen der Zerstörung gleichzeitig auch das Überleben und die Langlebigkeit in Frage zu stellen.«

Für ihre Arbeiten zur Serie und Publikation »Aleppo: Deconstruction | Reconstruction« suchte Gedeon relevante Orte auf Google Earth und erstellte digitale Zeichnungen als Grundlage, simulierte Gebiete, die durch Bombenangriffe zerstört wurden, und bearbeitete sie mit Klebeband, Bleistift und Faden. Jedes dieser Werke steht einem Text gegenüber, der Erinnerungsfragmente, hauptsächlich von ihrem Onkel und ihrer Mutter, enthält. Die Arbeiten sind weder echte Abstraktionen noch reale Landschaften, sondern navigieren zwischen diesen Polen und verdeutlichen die bittere Erkenntnis, dass der Ort, aus dem Gedeon stammt, nicht mehr so existiert wie früher.

  • Kompaktinfo
  • Aleppo: Deconstruction / Reconstruction

  • Autor: Christine Gedeon
  • Ausgabe: 1. Edition (1. April 2020)
  • Verlag: Kerber Verlag
  • ISBN-10: 3735606903
  • ISBN-13: 978-3735606907
  • Fazit

    Ein bewegendes Zeugnis für das heilende Vermögen der Kunst, ergänzt durch Familienfotos und einen Aufsatz von Nasser Rabbat.
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