Das Buch "Chernobyl" von Pierpaolo Mittica bietet einen eindringlichen Einblick in die Auswirkungen der schlimmsten technologischen Katastrophe der modernen Geschichte. Mittica, ein Fotograf, der seit 2002 regelmäßig in die Region reist, hat sich darauf spezialisiert, die Geschichten der Menschen zu erzählen, die in und um die Tschernobyl-Exklusionszone leben. Anstatt sich ausschließlich auf die verfallenen Ruinen zu konzentrieren, beleuchtet er die Lebensrealitäten und die tiefgreifenden Veränderungen, die das Unglück mit sich brachte.

Die tragischen Ereignisse des 26. April 1986, als der Reaktor Nummer vier explodierte, führten zu einer massiven Freisetzung von radioaktivem Material. Diese Katastrophe hatte nicht nur verheerende Auswirkungen auf die Umwelt, sondern veränderte das Leben von Millionen Menschen. Mittica beschreibt, wie die Explosion nicht nur Europa kontaminierte, sondern auch die langanhaltenden gesundheitlichen Folgen für die betroffenen Bevölkerungen, insbesondere in der Ukraine, Weißrussland und Russland, mit sich brachte. Rund neun Millionen Menschen leben weiterhin in hochbelasteten Gebieten und sind den Gefahren der Strahlung ausgesetzt.

Ein zentrales Anliegen des Buches ist es, die Geschichten der Menschen, die in dieser „toten Zone“ leben oder zurückgekehrt sind, zu dokumentieren. Über 4000 Menschen haben sich in der Exklusionszone niedergelassen, trotz der bekannten Gesundheitsrisiken. Mittica gibt diesen Menschen eine Stimme, indem er ihre Erfahrungen und Kämpfe festhält. Er zeigt, wie sie sich an das Leben in einer Umgebung anpassen, die von Strahlung und Verlust geprägt ist, und wie sie trotz aller Widrigkeiten ihre Identität und Gemeinschaft bewahren.

Das Werk umfasst die letzten sechs Jahre von Mitticas fotografischer Arbeit, in denen er nicht nur die bekannten Aspekte der Katastrophe, sondern auch unbekannte Geschichten wie die der sogenannten „Tschernobyl-Stalker“ und die Pilgerfahrten von chassidischen Juden dokumentiert hat. Diese Erzählungen sind oft von Trauer, Verlust und einem unerschütterlichen Willen geprägt, die eigenen Wurzeln zu bewahren. Mittica möchte, dass die Leser die Erinnerung an diese Menschen und ihre Geschichte nicht vergessen.

Ästhetisch beeindruckt das Buch durch seine Gestaltung. Der Umschlag fühlt sich nostalgisch an und lädt zum Blättern ein. Die Fotografien sind atemberaubend, obwohl einige der besten Bilder durch die Buchmitte geteilt werden, was die Betrachtung erschwert. Diese visuelle Darstellung unterstreicht jedoch die Schockwirkung der Katastrophe und die verstörende Schönheit des vernachlässigten Landes.

Mittica beleuchtet auch die Geschichte der Region vor der Katastrophe, um einen Kontrast zwischen dem damaligen Leben und den gegenwärtigen Verhältnissen zu schaffen. Die Region war einst die Wiege der chassidischen jüdischen Religion, und die Erzählungen über das frühere Leben werden durch die schockierenden Realität der heutigen Umgebung verstärkt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass "Tschernobyl" von Pierpaolo Mittica mehr ist als nur eine Dokumentation über einen Ort; es ist ein eindringliches Zeugnis über die Resilienz der Menschen, die dort leben, und die bleibenden Auswirkungen der Tragödie. Mittica schafft es, die Leser zum Nachdenken über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Herausforderungen der Zukunft anzuregen, während er die Geschichten von denen erzählt, die oft im Schatten der Geschichte stehen. Dieses Buch ist ein eindringlicher Aufruf, die Erinnerungen an die Menschen und die Lektionen, die aus der Katastrophe gelernt werden müssen, lebendig zu halten.