NAH UND FERN

Der Fotograf Frank Gaudlitz (*1958) gilt als Kosmopolit und kritischer Beobachter. Mit scharfem Blick fokussiert er Gegenwart und jüngere Zeitgeschichte. Er offenbart die Besonderheiten menschlichen Daseins und hält diese in seiner unmittelbaren Bildsprache fest. Die retrospektive Werkschau im Potsdam Museum zeichnet nun erstmals das fotografische Schaffen des Brandenburgers über einen Zeitraum von mehr als drei Jahrzehnten nach. Ausgehend von Potsdam führt die Reise in verschiedene Erdteile – von OST nach SÜD.

OST. SÜD. Fotografien 1986–2020 - Partnerlink

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Gaudlitz entdeckt im Sommer 1986 das Medium der Fotografie als einen Weg des Protests. »Mit der Konzentration auf das zu fotografierende Bild halte ich meine Emotionen auf Abstand und werde gewissermaßen der Realität enthoben«, so Gaudlitz. Der Bezirk Potsdam ist zu jener Zeit geprägt durch die gesellschaftliche und kulturelle Enge des späten SED-Regimes und nach einer Suspendierung aus dem pädagogischen Dienst dienen fotografische Inszenierungen in Potsdamer Abrisshäusern Gaudlitz' Suche nach neuen Ausdrucksmitteln.

Gemeinsam mit Steffen Mühle und Wolfgang Frederik gründet Gaudlitz im Spätherbst 1989 die »Erste unabhängige Kunstfabrik Potsdam« und stellt Fotografien der Montagsdemonstrationen aus Leipzig, Berlin und Potsdam aus. Wenig später wird Gaudlitz fotografischer Beobachter des Truppenabzugs. Mit seiner analogen Kamera verschafft er sich Zugang zum Sperrgebiet und porträtiert eine militärische Landschaft in ihrer Zersetzung. Der Abzug der sowjetischen Soldaten mündet ab 1992 in sein Langzeitprojekt »Russian Times«, zu dem im KERBER Verlag bereits 2019 ein eindrucksvolles Künstlerbuch erschienen ist.

Die Spannweite des aktuellen Ausstellungs- und Katalogstitels »OST. SÜD. Fotografien 1986–2020« umfasst unter »OST« somit die Beobachtung des politischen und gesellschaftlichen Zusammenbruchs der Sowjetunion und führt bis hin zur Positionierung der erstarkenden Großmacht Russland in den Jahren 2017/ 2018. Unter »SÜD« vereinigen sich diverse Projekte, die in Bolivien, in den Höhen von La Paz, ihren Ausgang nahmen. Auch bei diesen Bildern steht der Eindruck von Unmittelbarkeit im Fokus. Der Betrachter wird oft sogartig in das jeweilige Bildgeschehen hineingezogen und blickt etwa von einem Plateau der in 4000 Metern Höhe liegenden Stadt El Alto über die dichte Bebauung in die Ferne der Altiplano-Hochebene.

Der retrospektive Ansatz von »OST. SÜD. Fotografien 1986–2020« gewährt einen Gesamteinblick in die Arbeitsweise und Arbeitsprinzipien des Fotografen Gaudlitz: Der Fokus seines Blicks richtet sich stets auf die Menschen, ihre Lebenswelten sowie auf die Landschaften, die menschliches Dasein bestimmen und prägen. In einem erweiterten Begriff der Soziologie als dem Zusammenspiel von Menschen, vielleicht aber auch von Mensch und Materie, nimmt uns der Fotograf mit auf eine Reise in andere Kulturen. Da ist zum Beispiel dieser alte Mann auf einem Boot am Schwarzen Meer. Aus einer überwiegend gebückten Haltung hat er sich für den Fotografen fast vollständig erhoben, seine arbeitsgewohnten Hände machen weiter, was sie sonst so tun, aber sein Blick hebt ihn heraus, bringt ihn in eine Reihe mit anderen. Als Betrachter sei man zutiefst bewegt, möchte in einen Dialog treten, so Jutta Götzmann, Dirtektorin des Potsdam Museums.

»Durch die Qualität der Aufnahmen werden die einzelnen Personen, die Individuen über sich hinaus in eine Reihe gehoben, in eine Galerie von Aufrechten. In der meisterlichen Wiederholung des Bildaufbaus erhält der Einzelne etwas von seinem Aufwand zurück. Vielleicht ist der Fotografierte mal enttäuscht, mal erfreut über das Resultat, aber immer kann er sich in einem Prozess der Wahrhaftigkeit in der Arbeitsweise von Porträtiertem und Fotograf wiederfinden« führt Götzmann weiter aus. »Durch den hohen Qualitätsanspruch des menschlichen Bildnisses erhält wiederum auch die jeweilige Umgebung der Fotografierten eine besondere Ästhetik, trotz oder auch gerade aufgrund ihrer Unschärfe – ein stets würdiges Zusammenspiel innerhalb des Bildes.«

Die Publikation erscheint anlässlich der Sonderausstellung
»OST. SÜD. Fotografien 1986–2020«
26. September 2020 bis 31. Januar 2021
im Potsdam Museum | Forum für Kunst und Geschichte

  • Kompaktinfo
  • OST. SÜD. Fotografien 1986–2020

  • Autor: Matthias Flügge (Mitwirkende), Frank Gaudlitz (Mitwirkende), Jutta Götzmann (Mitwirkende), Claudia Schubert (Mitwirkende)
  • Ausgabe: 1. Edition (1. September 2020)
  • Verlag: Kerber Verlag
  • ISBN-13: 9783735606983
  • Fazit

    Mit enormen Gespür für das Menschliche sind die Fotografien von Frank Gaudlitz immer mehr als distanzierte Abbilder. Aus der Nähe des Augenblicks entfalten sie individuelle Lebensgeschichten, Schwere und Hoffnung. Das Potsdam Museum würdigt sein fotografisches Schaffen mit der retrospektiven Werkschau »OST. SÜD. Fotografien 1986–2020« und diesem umfangreichen Katalogbuch.
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