TABLEAU VIVANT

Schulklassen besuchen regelmäßig das örtliche Museum, um sich vor ein Gemälde zu setzen und dieses abzuzeichen. Das mag ein bisschen altmodisch anmuten und doch habe diese gängige Praxis ihre Berechtigung: »Es entschleunigt und lässt uns die Dinge sorgfältig betrachten«, so David Campany. »Was aber sollten besagte Schulkinder tun, als man anfing, die Fotografie als Kunstform anzuerkennen und parallel zur Malerei auszustellen? Eine Fotografie abzuzeichnen, ergibt wenig Sinn, auch wenn es eine interessante Aufgabe sein kann.« Was könnte demnach ein »Studium der Meister« für die Fotografie bedeuten?

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In den letzten Jahren hat das inszenierte Remake mit eigens gebauten Kulissen einen immer höheren Stellenwert erlangt und könnte die umfassendste Methode sein, um als Künstlerin oder Künstler ein Bild – und die eigene Beziehung zu diesem Bild – zu erforschen und kennenzulernen.

Anja Engelkes (*1983) fotografisches Remake hat die Arbeit »Room 125« des amerikanischen Künstlers Stephen Shore als Ausgangspunkt. Dieser reiste 1973 durch die USA, um seinen Alltag und sein Heimatland zu dokumentieren. Am 18. Juli mietete er sich im »Westbank Motel in Idaho Falls« ein – in Zimmer 125. Die Originalfotografie zeigt Shores Hotelzimmer und im Anschnitt seine Beine und Füße auf dem Bett.


45 Jahre später baut Engelke das Foto in ihrer eigenen Wohnung exakt nach und dokumentierte ihr Leben im Bild »Room 125«. Engelke rekonstruiert das Zimmer und ergänzt es. Sie fotografiert aus der gleichen Position wie Shore und bietet darüber hinaus zusätzliche Ansichten an, denn jetzt ist es ihr Zimmer. Dadurch entsteht eine gewisse Macht, selbst im Foto zu agieren oder neu zu kombinieren: Das Hinzufügen persönlicher Gegenstände in die zitierende Wohnsituation, die Erweiterung durch eigene Alltagssituationen oder das Auftauchen weiterer Referenzen mehrerer Fotografien Shores sowie anderer wichtiger fotografischer Positionen. »Room 125« – ein Tableau vivant in buchstäblichem lebendigen Sinne.

Für ihr außergewöhnliches Projekt hat Engelke just den ersten Platz des »Vonovia Award für Fotografie 2020« gewonnen. Ihre Bilder werden im Rahmen der Auszeichnung ab dem 4.12.2020 im Sprengel Museum in Hannover ausgestellt. Ausgangspunkt für die Bewertung der Jury war in diesem Jahr die Frage nach dem »Zuhause« und wie gesellschaftliche, politische, soziale und ökonomische Entwicklungen gegenwärtig die individuellen Vorstellungen und Realitäten dieses Begriffs prägen.

  • Kompaktinfo
  • Room 125

  • Autor: Anja Engelke (Herausgeber), David Campany (Mitwirkende)
  • Ausgabe: 1. Edition (1. Oktober 2020)
  • Verlag: Kerber Verlag
  • ISBN-10: 3735607300
  • ISBN-13: 978-3735607300
  • Fazit

    Dass die freie Fotografin mit ihrer Auseinandersetzung zum Thema »Wohnen« – insbesondere unter dem gegenwärtigen Einfluss von COVID-19 – den Zeitgeist traf, beweist nicht zuletzt ihre aktuelle Auszeichnung mit dem Vonovia-Award 2020.
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