In ihrem eindrucksvollen Werk "Silent Witness" verbindet die Fotografin Cornelia Suhan eindringliche Bilder von Gebäuden, in denen während des Bosnienkriegs (1992-1995) Verbrechen gegen Frauen verübt wurden, mit den Erzählungen der Überlebenden. Diese fotografischen Dokumentationen zeigen, wie die stillen Zeugen der Vergangenheit, ob Wohnhäuser oder öffentliche Einrichtungen, die Schrecken der Kriegsgewalt in sich tragen, ohne die betroffenen Frauen erneut der Öffentlichkeit auszusetzen. Suhan, die seit den 1990er Jahren regelmäßig nach Bosnien reist, um Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt wurden, zu unterstützen, begann 2018 mit der fotografischen Erfassung dieser Orte.

Die Bilder sind nicht nur Dokumentationen, sondern auch Aufrufe zur Erinnerung. Suhan stellt fest, dass viele der Gebäude, die sie fotografiert, unauffällig an Straßen oder in Wohngebieten liegen, jedoch eine düstere Vergangenheit in sich tragen. Oft sind diese Orte verwahrlost oder wurden vollständig renoviert, sodass die Geschehnisse nicht mehr sichtbar sind. Doch für Suhan bleiben sie als „stille Zeugen“ der Gräueltaten präsent, die an ihnen begangen wurden. Die Abwesenheit von Gedenktafeln oder anderen Erinnerungszeichen an diesen Orten zeigt, wie wenig die Gesellschaft bereit ist, sich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen.

Suhans Buch enthält fast 90 Fotografien, die verschiedene Arten von Gebäuden darstellen – von Schulen und Krankenhäusern bis hin zu Polizeistationen und Moscheen. Diese Orte waren Zeugen der Gewalt und des Leids, das Frauen während des Krieges erlitten haben. Die Bilder sind ein Versuch, das Ausmaß der Verbrechen zu verdeutlichen und die oft unsichtbaren Narben des Krieges sichtbar zu machen. Die Gebäude selbst sprechen für die Erfahrungen der Frauen und eröffnen den Betrachtern einen Raum der Reflexion über das, was dort geschehen ist.

Der Begleittext von Verena Bruchhagen betont die Bedeutung dieser Orte als „sprechende Objekte“, die uns dazu zwingen, uns mit der Realität der Gewalt und dem Trauma, das sie hinterlassen hat, auseinanderzusetzen. Die dokumentierten Gebäude fungieren als Anstoß für einen Erinnerungsprozess und fordern uns dazu auf, die Tabus um sexualisierte Gewalt zu brechen.

Die Fotografien und die damit verbundenen Geschichten sind nicht nur ein historisches Dokument, sondern auch ein Appell an die Gesellschaft, die Erinnerungen der Überlebenden zu bewahren und die Realität der sexuellen Gewalt im Krieg zu thematisieren. Suhan möchte mit ihrer Arbeit dazu beitragen, dass diese Verbrechen nicht in Vergessenheit geraten und dass die Stimmen der Überlebenden gehört werden.

Ein Teil der Erlöse aus dem Verkauf des Buches wird an die Organisation Vive Žene gespendet, die sich seit 1994 für die Unterstützung von Frauen und Kindern in Bosnien-Herzegowina einsetzt. Diese Initiative zeigt das Engagement von Suhan, über die Kunst hinaus aktiv zu werden und einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen.

"Silent Witness" wurde nicht nur als künstlerisches Werk geschätzt, sondern auch für den Deutschen Fotobuchpreis nominiert. Dies unterstreicht die Relevanz und Bedeutung des Projekts in der heutigen Gesellschaft. Die Anerkennung durch den Preis ist eine Möglichkeit, das Bewusstsein für die schrecklichen Verbrechen des Krieges zu schärfen und die Wichtigkeit von Erinnerungskultur und Gedenken hervorzuheben.

Insgesamt ist Cornelia Suhans "Silent Witness" ein kraftvolles, bewegendes Werk, das sowohl die Schönheit der Fotografie als auch die Dringlichkeit des Themas vereint. Es fordert die Gesellschaft auf, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen und die Stimmen derjenigen zu hören, die unter den Gräueltaten gelitten haben.