Zwei Stühle im Stil der Achtziger Jahre stehen nebeneinander, die Farbe des Stoffmusters ist etwas verblichen. Durch die Sitzkissen sind rote Stäbe mit aufgesteckten Donald-Duck-Köpfen gebohrt. »Diese Arbeiten sind aus Fundstücken entstanden«, erzählt Sibylle Jazra (*1973). »Der Stuhl ist wie ein Alter Ego. Er taucht immer wieder auf. Manchmal ist er in meiner Arbeit etwas sehr Persönliches. Die Objekte, die ich benutze, sind oft mit einer Geschichte behaftet. Einige Stühle, aber nicht alle, habe ich selbst jahrelang benutzt und darauf gesessen.«

Die Wahlberlinerin bearbeitet, durchbohrt oder entnadelt und stellt raumgreifende, fragile Installationen zusammen. Oft haftet ihren Arbeiten etwas Provisorisches an, was auch daran liegen mag, dass diese stets direkt auf dem Boden stehen oder von der Decke hängen und so gut wie nie auf Sockeln präsentiert werden. »Das macht sie auf eine Art nahbar – und auf eine nicht sofort zu durchschauende Weise vertraut«, weiß Autorin Anna-Lena Wenzel.

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So etwa es eine Serie von Straßenschildern, deren ursprüngliche Funktion gänzlich verschwunden ist: Jazra hat die Schilder verfremdet und mit einer Flex bearbeitet. Sie hat Farbschichten abgenommen und den metallischen Untergrund freigelegt. Es sieht weniger systematisch als dynamisch aus. Wilde Streifen ziehen sich über das Bild, ergänzt und verstärkt durch gesprühte Linien, die mal fein, mal verdichtet aufgetragen sind. Das Ergebnis spannungsvoll verblüffend: Die Dynamik des Bearbeitungsprozesses trifft auf eine üblicherweise statische Beschriftung, das glänzende Metall auf die diffusen Farbspuren.

Jazra geht es um das »Zum-Schweben-Bringen der Assoziationen«. Sie ist eine Meisterin untergründiger Andeutungen, was damit zu tun haben mag, dass sie sich oft im Dazwischen befindet und weder klassische Bildhauerin noch Malerin ist, immer wieder neue Formate und Ausdrucksweisen ausprobiert und sich dadurch nicht auf eine konkrete Machart festlegen lässt und lassen will. »Ich habe in einer Bildhauerklasse studiert, in der man nicht malen durfte. Das habe ich zwar nach dem Studium nachgeholt, aber das Misstrauen gegenüber dem klassischen Keilrahmen habe ich wohl nie ganz abgelegt,« so Jazra.

Auch in neueren Arbeiten kann man dieses ambivalente Verhältnis zur Malerei beobachten: sie bestehen aus bemalten und besprühten Leinwänden, die jedoch nicht aufgezogen, sondern angeschnitten und gerahmt sind, sodass sie etwas Objekthaftes bekommen, weniger Malgrundlage als vielmehr Artefakt sind.

Ein Beispiel für diese Arbeitsweise ist die Collage Untitled (Chrrr) (2018). Sie besteht aus verschiedenen Stoffen, die die Künstlerin übereinander gelegt hat. Einige sind opak, andere durchsichtig und haben verschiedene Muster und Haptiken. In der Mitte glitzert ein Stern mit Kulleraugen und Smiley-Mund. Darüber eine Sprechblase, auf der »Chrrr« steht. Das Bild wirkt durch diese Schichtungen nicht nur dreidimensional, es erweitert auch das klassische rechteckige Bildformat, indem es sich über die Ränder hinaus erstreckt.

Jazras Arbeiten scheinen spielerisch, entstehen aber nicht leichtfüssig. So tauchen etwa immer wieder Bezüge zum Pop auf. »Tatsächlich gibt es diese Pop Referenzen, die noch aus meiner Jugendzeit stammen. Ich mag auch diese Oberflächlichkeit, um die es bei der Pop Art geht, diesen Fokus auf die äußeren Schichten und die Materialien. Das zieht mich an,« erläutert Jazra »Auch wenn es dieses Faible für die Oberfläche gibt, sind die Arbeiten nicht belanglos oder entbehren zwangsläufig inhaltlicher Tiefe.« Entscheidend ist, dass eine latente Aufladung mit Verweisen und kulturellen Zuschreibungen vorgenommen wird, sodass eine anspielungsreiche Vielschichtigkeit entsteht. Dies unterstreicht die Berlinerin auch durch die Zusammenstellung unterschiedlicher Stoffe, Materialien und Fundstücke, sowie durch die Einbeziehung von Schrift erreicht.

Die nun erschienene Monografie »Schickeria Glitterati« verankert Jazras Schaffensprozess erstmalig als Gesamtwerk. Essays von Christine Gückel-Daxer, Anna-Lena Wenzel und Anna-Lena Werner ordnen das Werk künstlerisch sowie gesellschaftlich ein.

  • Kompaktinfo
  • Schickeria Glitterati

  • Autor: Sibylle Jazra
  • Ausgabe: 1. Edition (1. Mai 2020)
  • Verlag: Kerber Verlag
  • ISBN-10: 3735606792
  • ISBN-13: 978-3735606792
  • Fazit

    Der Gesamtzusammenhang des Schaffens von Sibylle Jazra wird mit der Monografie »Schickeria Glitterati« nun erstmals ganzheitlich vorgestellt.
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