Ist die verbrannte Cola etwas für das eigene Wohnzimmer? Wohl eher nicht, möchte man meinen und doch wohnen Karen und Christian Boros zumindest über der Ausstellung, die gegenwärtig ein solches Exponat inmitten Berlins zeigt. Im 1942 erbauten Reichsbahn-Bunker in der Friedrichstraße hat die umfangreiche Sammlung Boros seit 2003 ihr zu Hause gefunden. Zeitgenössische Kunst von 1990 bis in die Gegenwart, von internationalen Künstlern, darunter auch Werke von Damien Hirst, Thomas Scheibitz, Anselm Reyle, Elizabeth Peyton, Santiago Sierra und Ólafur Elíasson.

In fünf Jahren wurde der Bunker, der neben Südfrüchten zu Zeiten der DDR auch die Technojünger der 90er Jahre beherbergte, zu einem einzigartigen Ausstellungsraum umgebaut und mit einem Penthouse für Karen und Christian gekrönt. Allein der für den Zugang zum Penthouse benötigte Durchbruch durch das meterdicke Dach hat mehrere Monate in Anspruch genommen.

Boros Collection, Berlin © NOSHE

Boros Collection, Berlin © NOSHE

Besucher können Teile der Sammlung seit 2008 während kostenpflichtiger Führungen besichtigen. Diese finden nach vorheriger Anmeldung statt und sind sowohl für Kunstliebhaber als auch für Architekturbegeisterte interessant. Die Ausstellung bietet eine wunderbare Gelegenheit, Kunstwerke von weltberühmten Künstlern und aufstrebenden Talenten in einer speziellen räumlichen Situation zu erleben. Durch die Interaktion mit dem Bunker erhalten die Kunstwerke eine neue, lebendige und ungewöhnliche Dimension, die die Besucher auf eine spannende und inspirierende Weise erfahren können.

Als Teil ihrer umfangreichen Kunstsammlung ist in der jetzigen Auswahl auch die eingangs erwähnte Cola enthalten oder vielmehr das, was davon nach dem Einkochen durch den Künstler He Xiangyu noch übrig geblieben ist. Eigentlich erinnert das Resultat eher an Bitumen als an das Süßgetränk. Im Rahmen des Coca-Cola Projekts verkochte Xiangyu nach seinen Angaben unglaubliche 127 Tonnen zu einer schwarzen Masse, von der nun Teile den Weg in den Bunker gefunden haben. Der Asian Boy von He Xiangyu steht ebenfalls in den Räumen des Bunkers und … Na, erraten Sie es? Was tut er da?

He Xiangyu, Asian Boy, 2019-2020Boros Collection, Berlin © NOSHE

He Xiangyu, Asian Boy, 2019-2020
Boros Collection, Berlin © NOSHE

Richtig, er öffnet eine Büchse Cola. Als Schlüsselprodukt des westlichen Kapitalismus passt das ganz gut ins Portfolio, welches sich gern kritisch mit politischen und gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzt. Themen wie die Anfälligkeit des menschlichen Körpers, postkoloniale Strukturen, Materialität und Gemeinschaft werden in den Arbeiten aufgegriffen und in Verbindung gebracht. Der Fokus liegt auf der Verknüpfung zwischen dem Individuum und seiner Umgebung.

Was ist wirklich falsch und bedarf der Korrektur? Die Kinderorthesen Olmedos helfen beim Vorgang des Anpassens an die Gesellschaft und Anna Uddenbergs Rona lädt ein, den so geformten Körper sogleich wieder über alle Maße zu verbiegen und zu verkleiden, um so übersexualisiert dank Social Media ein Teil der Konsumgesellschaft und selbst zur Ware zu werden.

Anna Uddenberg, Rona's Revenge, 2020Boros Collection, Berlin © NOSHE

Anna Uddenberg, Rona’s Revenge, 2020
Boros Collection, Berlin © NOSHE

Wenn man in einer Welt lebt, die so falsch ist, dass man den Bezug zu seinem wahren Ich verliert, kann Kunst durch ihre kreative Art der Kommunikation helfen, die Kluft zwischen dem eigentlichem Selbst und der Welt, die einen umgibt, aufzuzeigen und zu überbrücken. Wenn die Besucher wie Vieh durch die Gatter einer landwirtschaftlichen Anlage geführt werden, dürfte jedem deutlich werden, wie ferngesteuert der Weg des eigenen Lebens allzu oft ist. Viele verschiedene Aspekte des menschlichen Daseins und der Gesellschaft werden in der Ausstellung beleuchtet und zur Diskussion gestellt und dennoch führen alle zusammen.

Im Licht der gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Situation wird in der aktuellen Kollektion sowohl ältere als auch neue Kunst dargestellt und der Versuch unternommen, eine Verbindung herzustellen. Es geht also nicht nur um die Re-Installation alter Werke, sondern auch um eine Neubetrachtung und Neubewertung im Licht neuerer Kunstwerke. Es ist eine Herausforderung, aber auch eine große Chance, die Sammlung auf diese Weise zu präsentieren. Durch die Zusammenstellung unterschiedlicher Werke und Perspektiven soll ein spannender Diskurs entstehen, der die Beziehungen zwischen den Werken, den Künstlern und der Kunstwelt insgesamt hinterfragt.

Boros Collection #4 - Partnerlink

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Die in der vierten Präsentation der Boros Collection ausgestellen Künstler sind: Jean-Marie Appriou, Julius von Bismarck, Julian Charrière, Eliza Douglas, Thomas Eggerer, Louis Fratino, Cyprien Gaillard, Ximena Garrido-Lecca, Yngve Holen, Klára Hosnedlová, Anne Imhof, Alicja Kwade, Victor Man, Kris Martin, Nick Mauss, Jonathan Monk, Adrian Morris, Paulo Nazareth, Berenice Olmedo, Amalia Pica, Bunny Rogers, Michael Sailstorfer, Wilhelm Sasnal, Pieter Schoolwerth, Anna Uddenberg, Eric Wesley, und He Xiangyu. Den Besucher erwartet eine Vielfalt von nationalen und internationalen Künstlerperspektiven mit ganz unterschiedlichen künstlerischen Ansätzen. Die Arbeiten der Künstler decken eine breite Palette von Medien wie Malerei, Skulptur, Fotografie, Film, Video und Installationen ab. Die Präsentation bietet einen Einblick in die vielfältigen künstlerischen Diskurse, die in der zeitgenössischen Kunstszene präsent sind, und zeigt die Leidenschaft und das Engagement von Christian und Karen Boros für die Förderung und Sammlung von Kunstwerken.

Im Distanz Verlag, welcher 2010 unter anderem von Christian Boros gegründet wurde, ist der Katalog mit den ausgestellten Werken, sowie erläuternden Texten in Deutsch und Englisch erschienen.

  • Kompaktinfo
  • Boros Collection #4

  • Autor: Boros Collection (Herausgeber)
  • Ausgabe: 1. Edition (20. Oktober 2022)
  • Verlag: DISTANZ Verlag
  • ISBN-10: 3954765136
  • ISBN-13: 978-3954765133
  • Fazit

    Der Katalog geleitet durch die gut durchdachte und absolut sehenswerte Ausstellung.
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Titelbild: Bunny Rogers, Boros Collection, Berlin © NOSHE